Georg Schreiber
Jurybegründung
Der Künstler Wolf Erlbruch hat in den vergangenen 15 Jahren mit seinen Illustrationen im Bereich des Kinder- und Bilderbuches eine herausragende Rolle eingenommen. Seine künstlerische Handschrift und seine individuelle Bildsprache haben der Illustration der 90er Jahre eine unverwechselbare und zugleich stilbildende Gestalt verliehen. Sowohl als gestaltender Künstler selbst, wie auch als Lehrender in Sachen Kunst hat Wolf Erlbruch visuelle Wegweiser gesetzt. Seine Handschrift wird als "typisch Erlbruch" erkannt und häufig kopiert.
In seinem Bilderbuch Vom kleinen Maulwurf, der wissen wollte, wer ihm auf den Kopf gemacht hat schuf er eine Bilderbuchfigur, die innerhalb kürzester Zeit zum Klassiker avancierte und die in ihrer schnörkellosen und respektlosen Charakterzeichnung die Sympathie großer und kleiner Leser gewann. Seine Charaktere bieten sich für Heranwachsende ganz offensichtlich als Identifikationsfiguren an. Das zeigt sich auch bei der Umsetzung seiner Bilderbücher in andere Medien, z.B. in überaus erfolgreiche Kindertheater-Stücke.
Bestechend ist bei Erlbruch die Bildtechnik der Collage, eine Technik, die es ihm erlaubt, auf subtile Weise Abstraktions- und Verfremdungseffekte einzubringen. Er verwendet Zeichengeräte, wie z.B. Pinsel, Feder und Kreide, auf Papieren verschiedener Herkunft und Beschaffenheit. Gleich, ob es sich um Landkarten oder alte Kanzleibücher, Formelsammlungen oder japanische Buntpapiere handelt: Erlbruch spielt mit seinem Bildmaterial, indem er es als grafisches Element und zugleich als verfremdenden Akzent begreift. Verstärkt wird diese Wirkung durch Zitate aus der Kunstgeschichte, die er mit leichter Hand einstreut. Auf der eindimensionalen Ebene des Papiers entstehen Erlbruchs Räume nicht durch perspektivisches Zeichnen allein, sondern durch spannungsvoll nebeneinander inszenierte Linien und Flächen, durch Freiräume, Perspektivenwechsel und gewagte Anschnitte. Seine gut komponierten szenischen Abläufe fordern ein Denken in Text und Bild heraus, der dramaturgische Spannungsbogen wird perfekt gespannt. Immer bleiben Offenheit und Mehrdeutigkeit gewahrt, die dem Betrachter individuelle Deutungsansätze ermöglichen. Vor allem in den späteren Büchern tritt auch die Schrift als grafisches Gestaltungselement im Bild hervor (z.B. in Das Hexen-Einmal-Eins).
Erlbruch bewegt sich mit seinen Bildern zwar vielfach in der traditionellen Figurenwelt des Bilderbuchs, zwischen Hasen, Bären und Hunden, aber er gibt diesen eine unverwechselbar individuelle, etwas sperrige und kantige Gestalt, die sich in kein kindertümelndes Schema einfügt. Der Auftritt seiner skurrilen, schrägen Figuren mit ihren expressiven und prägnanten Zügen spricht Kinder und Erwachsene an. Seine Bildästhetik lässt sich bewusst nicht durch eine "Zielgruppe" einengen.
Wolf Erlbruchs Kinder- und Bilderbücher sind deshalb in ihrer künstlerisch-ästhetischen und inhaltlichen Form in den 90er Jahren wegweisend geworden. Vor allem seine Bilderbücher haben wesentlich dazu beigetragen, dass sich der traditionelle Bilderbuchmarkt einer Öffnung gegenüber Einflüssen moderner Kunst sowie neuen medialen Erzählformen nicht länger verschließen konnte.
Sonderpreisjury 2003
Dr. Claudia Blei-Hoch
Dr. Andreas Bode
Renate Raecke