Marlis Pörtner
Jurybegründung
Die Jury zeichnet das Gesamtwerk Kirsten Boies aus wegen
- seiner über 20 Jahre kontinuierlich gehaltenen literarischen Qualität,
- seiner humanistischen Grundhaltung, seiner formalen Vielfalt,
- seiner sprachlichen Disziplin, seines sprachlichen Formenreichtums,
- seiner Wandlungsfähigkeit und
- seiner multimedialen Zugänge für die Lebensalter vom Kleinkind bis zur Adoleszenz.
Die Jury ehrt Kirsten Boie mit dem Sonderpreis des Deutschen Jugendliteraturpreises 2007 als konsequente und kompromisslose Verfechterin einer eigenen Literatur für Kinder und Jugendliche. Sie ehrt die Autorin als rastlose und erfolgreiche Vorkämpferin ästhetischer Erziehung und nachhaltiger Leseförderung. Die scheinbar divergierenden Ansprüche literarischer und lesepädagogischer Qualität hält das Werk Kirsten Boies in unanfechtbarer Balance. Der Sonderpreis ehrt ebenfalls die hellsichtige, für Kinder zugängliche Gesellschaftskritik und -utopie ihrer Fiktionen. Die Jury versteht den Preis auch als Anerkennung von Kirsten Boies fortwährender selbstkritischer Reflexion und Auseinandersetzung mit theoretischen Fragen der Kinder- und Jugendliteratur und ihrer Vermittlung.
Der Sonderpreis des Deutschen Jugendliteraturpreises 2007 wird für das Gesamtwerk einer deutschen Autorin ausgeschrieben. Daher stellt sich die Frage: "Was ist deutsch an Kirsten Boies Literatur?". Die Jury gibt darauf die Antwort: Kirsten Boie steht nicht nur in der Tradition der nordwesteuropäischen Kinder- und Jugendliteratur, sondern zeigt in ihrem Werk einen engen Bezug zur deutschen Literaturgeschichte, zur Ästhetik des deutschen Idealismus, zum Gedankengut der in Hamburg formulierten Reform-Pädagogik und der positiven Werte des protestantisch-aufgeklärten hanseatischen Bürgertums mit seiner Bereitschaft zu Selbstkritik und sozialem Engagement.
Ihr Anspruch, Kindern in einer eigens für sie geschaffenen Literatur Denk- und Erklärungsmuster zu bieten, ihnen Freiräume in sprachlichen Kunstwerken zu eröffnen und gleichberechtigte Qualitätsanforderungen zu erfüllen, kennzeichnet Kirsten Boie als Autorin einer deutschen Nachkriegsgeneration. Eine Generation, die im Bewusstsein der deutschen Geschichte Kindern und Jugendlichen Stärke und Selbstbewusstsein für ein freies, verantwortungsbewusstes Leben in einer demokratischen Gesellschaft vermitteln will. Mit dieser Aufgabe ist es der Dichterin Kirsten Boie sehr ernst. Sie ist eine Botschafterin der exakten, aber nicht kanonhaft verengten deutschen Sprache als im Wandel befindliches Kulturgut ohne Vollkommenheits- oder Dominanzanspruch. Dem Zusammenhang zwischen Herkunft, Erziehung und Sprachverhalten ist jedes ihrer Kinder- und Jugendbücher verpflichtet. Ihre deutlich spürbare Liebe zur Region, in der sie aufgewachsen ist und bis heute arbeitet, kennt ebenso authentische Milieuschilderungen wie sarkastische Distanzierung, zärtliches Einfühlungsvermögen wie sprödes Befremden.
Kirsten Boie hat in den letzten 20 Jahren die deutsche Kinder- und Jugendliteratur, ihre Vermittlung und ihre Analyse geprägt. Die Jury versteht die Preisentscheidung auch als Ermutigung und Bitte, dieser Berufung weiterhin zu folgen.
Sonderpreisjury 2007
Brigitte Briese
Prof. Birgit Dankert
Dr. Ludwig Eckinger