Tabitha von Bonin

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Jurybegründung

Ursula Wölfel gehört seit über drei Jahrzehnten zu den bedeutendsten und einflußreichsten deutschsprachigen Kinder- und Jugendbuchautorinnen. Von 1959 an - dem Erscheinungsjahr ihres ersten Buchs - hat sie ein Werk von ungewöhnlicher thematischer und formaler Vielfalt geschaffen. Alle literarischen Gattungen sind darin vertreten, Gedichte, Theaterstücke und Skizzen zu szenischen Spielen, auch die im engeren Sinne didaktischen Genre der Fibel (Das Wundertor, 1969) und des Sachbuchs Warumgeschichten, 1971), doch liegt der Schwerpunkt eindeutig bei der erzählenden Prosa. Das Spektrum der Formen und Genre reicht von der wenige Sätze umfassenden Kürzest-Geschichte bis zum umfangreichen historischen Roman. Ursula Wölfels Werk ist gekennzeichnet durch einen hohen Grad an Gegenwärtigkeit. Sie ist im besten Sinn Zeitgenossin mit einem sicheren Gespür für aktuelle Probleme und Themen. Daß sie nie zur eigenen Epigonin wurde, die das Erfolgsrezept bis zum Überdruß wiederholt, ist ungewöhnlich. Die frühen Erzählungen für Kinder im Vor- und Grundschulalter zeigen sie als engagierte Psychologin und Pädagogin, die sich der Außenseiter und einsamen Kinder annimmt. Lange bevor diese zu Standard-Protagonisten der Kinderliteratur werden, hat sie die Probleme des Heimzöglings und der Vaterlosigkeit, die Schwierigkeiten des dicken und die Spielphantasien des überbehüteten und isolierten Kindes dargestellt. Mit Hilfe einer überwiegend freundlichen Umwelt, vor allem aber aus eigener Kraft gelingt es diesen Kindern, ihre kleinen und größeren Lebenskrisen zu meistern. Zum Aufbruch der Kinderliteratur in eine neue Phase des politischen Engagements und des literarischen Realismus' hat Ursula Wölfel 1970 mit den Erzählungen Die grauen und die grünen Felder einen wichtigen Impuls gegeben und hohe Maßstäbe gesetzt. Die Welt des Kindes ist ungleich härter dargestellt als in den früheren Erzählungen. Die Verfasserin greift bislang in der Kinderliteratur tabuierte oder ins Idyllische entschärfte Themen auf, erzählt vom geistig behinderten Kind und vom Alltag der Kinder einer Alkoholikerin; auch von politisch Aktuellem, von Kindheit im Vietnamkrieg und unter den Bedingungen südafrikanischer Apartheid.

Sie begründet aber auch in diesen Jahren für die jüngeren Kinder ein eigenes Genre von Mini-Geschichten, die zum Lachen, zum Nach- und vor allem zum Umdenken anregen. Diese Texte, die die traditionellen Kinderstubenwerte und -tugenden wie Sauberkeit und Ordnung in Frage stellen und die eine neue Beziehung zwischen Kindern und Erwachsenen entwerfen, haben sich als haltbar erwiesen. Ihr Erfolg ist nicht zuletzt in der ungewöhnlich guten Kenntnis kindlicher Wunsch- und Phantasiewelten begründet.

Herausragend aus dem frühen Werk Ursula Wölfels wie der Kinder- und Jugendliteratur der sechziger Jahre ist der Roman Mond Mond Mond. Sie hat hier die Geschichte einer verspäteten Erinnerungsarbeit und Heilungskrise geschrieben, in der sie dem Leser differenzierte Informationen über die Zigeuner, ihr Schicksal im „Dritten Reich", ihr Denken und ihre Lebensweise gibt. Information und Moral sind eingelassen in ein dichtes Erzählgewebe, in ein subtiles poetisches Spiel mit den Symbolen des Wegs und des Mondes als Gestirn der Fahrenden.

Die achtziger Jahre eröffnet Ursula Wölfel mit einem Buch, in dem sie Themen der aktuellen Diskussion über das historische Erzählen verarbeitet Geschichte „von unten", Alltagsgeschichte, Geschichte der verdrängten demokratischen Tradition in Deutschland. Jacob ist sorgfältig komponiert, reflektiert Erinnerungszeit und erinnerte Zeit, prägt sich durch vielschichtig und liebevoll gezeichnete Menschen dem Gedächtnis ein. Nach diesem episoden- und figurenreichen Roman, der individuelle Lebensgeschichte und Epochendarstellung verknüpft, erscheint Die Glückskarte (1987) eher novellistisch komprimiert. Qualitäten der früheren Bücher fallen auch hier wieder auf: Verdichtung bis zum Lakonismus statt ausufernder Beredsamkeit; sensible Personengestaltung auch in traditionellen Konstellationen wie in der Allianz zwischen Großeltern und Enkeln; sozialhistorische Informationen in der prägnanten Darstellung einer Mehrgenerationenfamilie; Aufnahme eines Modemotivs.- der Tarotkarten - und seine Wendung in die sehr eigene und vertiefende Gestaltung jugendlicher Todeserfahrung.

Sonderpreisjury

Dr. Gundel Mattenklott (Vorsitz)
Dr. Malte Dahrendorf
Dr. Sybil Schlepegrell

Auszeichnung des Jugendliteraturpreises

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