Cover: Meine Mutter ist in Amerika und hat Buffalo Bill getroffen 9783551777904

Meine Mutter ist in Amerika und hat Buffalo Bill getroffen

Jean Regnaud (Text),
Émile Bravo (Illustration),
Kai Wilksen (Übersetzung),
Michael Hau (Gestaltung)


Carlsen Verlag
ISBN: 978-3-551-77790-4
17,90 € (D)
Originalsprache: Französisch
Preisträger 2010, Kategorie: Kinderbuch
Ab 8 Jahren
Preisträger Kinderbuch

Jurybegründung

 
Manchmal fallen Abschiede so schwer, dass man sich deren Realität nicht einfach so eingestehen kann – so geht es dem kleinen Jean. In 14 Kapiteln mit je eigenen, stets die Atmosphäre prägenden Grundfarben erzählen der Text und die Bilder über Jeans Alltagsleben authentisch aus dessen eigener Sicht im Kontext der 1970er Jahre. Drei Handlungsstränge verknüpft die Geschichte: Jeans Wunschvorstellung, die tote Mutter befände sich auf einer...
Weltreise, Jeans Familienleben und schließlich die Welt der Schule.
 
In der historischen und kulturellen Distanz realisiert sich die Doppeladressierung des Buches, die bei jungen Lesern die Phantasie anregt und sie zum Deuten auffordert – auch zum Nachdenken und Fragenstellen über die Kindheit der eigenen Eltern. Jean erlebt nun nicht gerade eine „Bilderbuchkindheit“: Kindermädchen ersetzen die Mutter und es dauert, bis Yvette gefunden ist, bei der sich die Kinder wohlfühlen können. Der strenge Vater verbreitet mit seinen ewigen Korrekturen und Maßregelungen eine unbehagliche Stimmung bei den gemeinsamen Mahlzeiten. Wie die Darstellung des Familienlebens ist auch die des Schullebens von aller Verzauberung der Kindheit frei und zeigt die vielen Ängste, die Jean bewegen: das Gefühl, nicht dazu zu gehören, oder die Sorge, vom Schulpsychologen in die Sonderschule geschickt zu werden. Auf allen Bild- und Textebenen arbeitet Meine Mutter ist in Amerika mit der Verschränkung von an der Oberfläche liegenden Erlebnissen mit dem in der Tiefenstruktur verarbeiteten Erleben. Hier wird der Leser mit komplexen Beziehungsstrukturen konfrontiert und mit unterschiedlichen Wegen, den Verlust zu kompensieren.
 
Damit stellt die Graphic Novel eine hervorragende Möglichkeit des Deutungsspielräume eröffnenden Erzählens dar. Jean Regnaud und Émile Bravo verstehen es, sie auf versierte und subtile Weise auszuschöpfen. Denn erst durch das Miteinander von Text und Bild realisiert sich die Erzählstrategie, Ereignis und Erleben zu verschränken. Symptomatisch für dieses überzeugende Verfahren ist Jeans Beziehung zum Nachbarmädchen Michèle, über die der Leser weitaus mehr weiß, als Jean selbst. Denn sie erfindet Postkartengrüße der Mutter an Jean, die Michèle angeblich von dieser erhält. Erst liest sie ihm vor, doch wenn der Leser den Originaltext im Bild sieht, durchschaut er dank der kindlichen Orthographie die gnädige Lüge rasch. Dennoch wird die aus dem Mehrwissen des Lesers resultierende Spannung über den Verbleib von Jeans Mutter bis zum Schluss aufrechterhalten. Allerdings ohne dass die seelische Verwundung durch den Tod der Mutter geheilt würde. Jean findet lediglich einen neuen Denkansatz, denn vielleicht, so sinniert er nach der Entdeckung, dass es keinen Weihnachtsmann gibt, vielleicht sei es mit seiner Mutter ebenso: „Ich bin jetzt zu groß, um an sie zu glauben.“
 
Das Buch überzeugt in seiner Mischung von Text und Bild besonders auch da, wo Illustrationen in versiert gewählten Passagen den erzählten Text ersetzen. Die eigene literarische Sprache des Originals verstand Kai Wilksen sehr gut ins Deutsche zu übertragen. Auf allen Ebenen ist Mein Mutter ist in Amerikaeinereichhaltige Graphic Novel, die ihren Leser sicher einige Zeit begleiten wird, um ihn immer wieder etwas Neues entdecken zu lassen.
 
Manchmal fallen Abschiede so schwer, dass man sich deren Realität nicht einfach so eingestehen kann – so geht es dem kleinen Jean. In 14 Kapiteln mit je eigenen, stets die Atmosphäre prägenden Grundfarben erzählen der Text und die Bilder über Jeans Alltagsleben authentisch aus dessen eigener Sicht im Kontext der 1970er Jahre. Drei Handlungsstränge verknüpft die Geschichte: Jeans Wunschvorstellung, die tote Mutter befände sich auf einer Weltreise, Jeans Familienleben und schließlich die Welt der Schule.
 
In der historischen und kulturellen Distanz realisiert sich die Doppeladressierung des Buches, die bei jungen Lesern die Phantasie anregt und sie zum Deuten auffordert – auch zum Nachdenken und Fragenstellen über die Kindheit der eigenen Eltern. Jean erlebt nun nicht gerade eine „Bilderbuchkindheit“: Kindermädchen ersetzen die Mutter und es dauert, bis Yvette gefunden ist, bei der sich die Kinder wohlfühlen können. Der strenge Vater verbreitet mit seinen ewigen Korrekturen und Maßregelungen eine unbehagliche Stimmung bei den gemeinsamen Mahlzeiten. Wie die Darstellung des Familienlebens ist auch die des Schullebens von aller Verzauberung der Kindheit frei und zeigt die vielen Ängste, die Jean bewegen: das Gefühl, nicht dazu zu gehören, oder die Sorge, vom Schulpsychologen in die Sonderschule geschickt zu werden. Auf allen Bild- und Textebenen arbeitet Meine Mutter ist in Amerika mit der Verschränkung von an der Oberfläche liegenden Erlebnissen mit dem in der Tiefenstruktur verarbeiteten Erleben. Hier wird der Leser mit komplexen Beziehungsstrukturen konfrontiert und mit unterschiedlichen Wegen, den Verlust zu kompensieren.
 
Damit stellt die Graphic Novel eine hervorragende Möglichkeit des Deutungsspielräume eröffnenden Erzählens dar. Jean Regnaud und Émile Bravo verstehen es, sie auf versierte und subtile Weise auszuschöpfen. Denn erst durch das Miteinander von Text und Bild realisiert sich die Erzählstrategie, Ereignis und Erleben zu verschränken. Symptomatisch für dieses überzeugende Verfahren ist Jeans Beziehung zum Nachbarmädchen Michèle, über die der Leser weitaus mehr weiß, als Jean selbst. Denn sie erfindet Postkartengrüße der Mutter an Jean, die Michèle angeblich von dieser erhält. Erst liest sie ihm vor, doch wenn der Leser den Originaltext im Bild sieht, durchschaut er dank der kindlichen Orthographie die gnädige Lüge rasch. Dennoch wird die aus dem Mehrwissen des Lesers resultierende Spannung über den Verbleib von Jeans Mutter bis zum Schluss aufrechterhalten. Allerdings ohne dass die seelische Verwundung durch den Tod der Mutter geheilt würde. Jean findet lediglich einen neuen Denkansatz, denn vielleicht, so sinniert er nach der Entdeckung, dass es keinen Weihnachtsmann gibt, vielleicht sei es mit seiner Mutter ebenso: „Ich bin jetzt zu groß, um an sie zu glauben.“
 
Das Buch überzeugt in seiner Mischung von Text und Bild besonders auch da, wo Illustrationen in versiert gewählten Passagen den erzählten Text ersetzen. Die eigene literarische Sprache des Originals verstand Kai Wilksen sehr gut ins Deutsche zu übertragen. Auf allen Ebenen ist Mein Mutter ist in Amerikaeinereichhaltige Graphic Novel, die ihren Leser sicher einige Zeit begleiten wird, um ihn immer wieder etwas Neues entdecken zu lassen.
MEHR

Personen

Autor
1964 in Bergerac/Frankreich geboren, ist als Autor und Journalist tätig.
Illustrator
1964 in Paris geboren, debütierte 1988 nach einer Ausbildung als technischer Zeichner als Comic-Künstler.
Übersetzer

arbeitete als Übersetzer von französischen Comics und lebte in Freiburg. Kai Wilkes ist 2011 verstorben.

Gestalter
Jahrgang 1960, arbeitet seit 1982 als Letterer. Von 1981 bis 2001 war er der Herausgeber des Underground-Comic-Magazins Menschenblut.
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